EIGENVERANSTALTERTÄTIGKEIT

Geschäftsmodelle im Reisevertrieb: Reisemittler, Reisehändler und Eigenveranstalter

Die Reisevertriebsbranche sieht sich bereits seit Jahren mit steigendem Druck durch den Direktvertrieb und die Marktmacht der Online-Buchungsportale konfrontiert. Strukturelle Veränderungen der touristischen Wertschöpfungskette sowie sinkende Provisionen seitens der Reiseveranstalter fordern die Einkommensmodelle von stationären Reisebüros heraus. 

Wie vorteilhaft ist der Status als Handelsvertreter für eine erfolgreiche Unternehmensführung eines Reisebüros? In der Reisevertriebsbranche sind hybride Vertriebsmodelle bereits oft etablierte Praxis, sodass die Vermittler- und Veranstaltertätigkeit von Reisen häufig bereits eng miteinander verschränkt sind.

Im folgenden Leitfaden möchten wir Ihnen die unterschiedlichen Geschäftsmodelle von der reinen Vermittlertätigkeit, über den Verkauf verbundener Reiseleistungen bis hin zur Eigenveranstaltertätigkeit näher bringen, die jeweiligen Chancen und Risiken beleuchten und darauf eingehen, was Sie beachten müssen, um die unterschiedlichen Leistungen rechtssicher zu verkaufen.

Eine Fülle an Innovationen in der Touristik, besonders im digitalen Bereich, ermöglicht es einerseits auf neuen Wegen mit den KundInnen in Kontakt zu treten und zu kommunizieren und fördert andererseits auch die Entstehung komplett neuer Vertriebsformen. Ein zunehmender Trend der Individualisierung in der Gesellschaft lässt die traditionelle Pauschalreise immer mehr zu einem ausgedienten Vertriebsmodell werden, das in Zeiten einer hohen Flexibilität und Schnelllebigkeit häufig nicht mehr den Anforderungen der modernen Klientel gerecht werden kann. Dynamic Packaging erlaubt es Reisenden, über Online-Vertriebsportale in Echtzeit Reisebausteine nach den eigenen Wünschen zusammenzustellen und bricht somit starre Angebots- und Vertriebsstrukturen auf. Auch große Reiseveranstalter sind diesem Trend gefolgt und bieten mittlerweile über eigene Online-Portale oder fremde, internetbasierte Kanäle die dynamische Bündelung einzelner Reiseelemente an. KundInnen profitieren mit individuell zusammengestellten Reisen von einem exklusiveren Reiseerlebnis und müssen nicht für Leistungen zu zahlen, die sie nicht brauchen. Durch den Verkauf verbundener Reiseleistungen oder eigenveranstalteter Reisen kann der Reisevertrieb auf die Veränderungen der Kundenbedürfnisse eingehen und mehr Individualität bieten, als Produkte „von der Stange“ es erlauben.

Diese Veränderungen der Rahmenbedingungen und Kundenanforderungen zeigen auf, wie komplex die Aufgaben der Reiseindustrie geworden sind. Sie treffen die Arbeit von Veranstaltern und Vermittlern gleichermaßen und erfordern ein hohes Maß an unternehmerischer Flexibilität und Kreativität, Kommunikation und Kundenorientierung. Auch gesetzliche Rahmenbedingungen wurden in den letzten Jahren angepasst, um „neuen“ Mechanismen wie dem Online-Vertrieb gerecht zu werden und den Verbraucherschutz etwa durch erweiterte Informationspflichten seitens der Anbieter sowie unzulänglich geklärte Haftungsfragen zu stärken: seit 01. Juli 2018 ist das „neue“ Reiserecht in Kraft, das die §§651 a-y BGB modernisiert hat. Zusammen mit dem im Juni 2021 von der Bundesregierung verabschiedeten Reisesicherungsfondgesetz zielt es darauf ab, Pauschalreisende im Haftungsfall besser abzusichern. [1]

TIPP

Das Thema haben wir bereits in einem Online-Webinar im Juli 2021 aufgegriffen: Anna Schwingenschlögl, Bereichsleiterin Franchise und Vertriebskoordination bei Reiseland, beleuchtete das Thema aus einer unternehmerischen Perspektive und die Rechtsanwältin Dr. Julia Offermanns erläuterte die rechtlichen Herausforderungen und zeigte auf, welche Maßnahmen es gibt, etwaige Risiken einzudämmen.

Hier gelangen Sie zur Aufzeichnung des Webinars.

Welches Geschäftsmodell passt zum eigenen Unternehmen?
Die unterschiedlichen Vertriebsformen lassen sich anhand von vier Ebenen darstellen, mit denen jeweils unterschiedliche Informationspflichten und Haftungsrisiken einher gehen.

Bevor wir die unterschiedlichen Stufen erläutern, bedarf es einer kurzen begrifflichen Klärung der vier Arten von Reiseleistungen, die laut §651a BGB festgelegt wurden[2]:

  1. Beförderung
  2. Beherbergung, darunter fallen auch Services wie etwa die Reinigung des Zimmers, Nutzung des Pools oder Wellnessbereich eines Hotels sowie auch die Verköstigung, d.h. all diese Dienstleistungen stellen keine Reiseleistungen dar.
  3. Vermietung von Kraftfahrzeugen oder Motorrädern
  4. Jede weitere touristische Leistung, die nicht unter (1) bis (3) fällt und die kein Bestandteil der anderen Reiseleistungen ist (z.B. Stadtführungen, Eintrittskarten, Skipässe, Wellnessbehandlungen etc.).

Bei der Vermittlung von Pauschalreisen gelten für den Reisemittler die gleichen Informationspflichten wie für die Reiseveranstalter. Darunter fallen Informationspflichten zum Zielort, Anzahl der Übernachtungen, An- und Abreise, Verpflegung, ggf. die Reiseroute oder – falls zutreffend – inwiefern die Reise für Menschen mit eingeschränkter Mobilität durchführbar ist. Wie sich diese Pflichterfüllung der vorvertraglichen Informationspflichten zwischen Reisemittler- und Veranstalter aufteilen, ist zwischen diesen individuell zu klären. Der Umfang der Formblätter und Informationspflichten ist seit der Modernisierung des Reiserechts merklich ausgeweitet worden.

Beim Verkauf einzelner Reiseleistungen, die nicht als verbundene Reiseleistungen verkauft werden (zur Abgrenzung hilft Absatz 3), muss der Reisemittler darauf achten, seine KundInnen ausdrücklich auf den Vermittlerstatus hinzuweisen und den Leistungsträger, dessen Leistungen er vermarktet, dabei kenntlich machen. Auch wenn der Reisemittler Zahlungen entgegennimmt, hat er die Pflicht ausdrücklich zu kommunizieren, dass dies für den betreffenden Leistungsträger durchgeführt wird. In diesem Fall muss der Reisemittler keine eigene Insolvenzabsicherung vorweisen.

Seit 2018 sieht das Reiserecht ein neues rechtliches Konstrukt vor, dass die klassische Pauschalreise keineswegs ersetzen soll, sondern eine gänzlich neue Form der Reisevermittlung darstellt. Geregelt ist die Vermittlung verbundener Reiseleistungen in §651 w BGB. Diese Vermittlungsleistung tritt dann ein, wenn für den Zweck derselben Reise zwei verschiedene Arten der oben genannten Reiseleistungen verkauft werden und außerdem folgende Szenarien erfüllt werden:

  • Die Buchung erfolgt während eines Besuchs an der Verkaufsstelle bzw. eines einzigen Kontaktes mit dem/der VerkäuferIn. Der/die VermittlerIn muss nachweisen können, dass die Reiseleistungen getrennt ausgewählt wurden sowie getrennt in Rechnung gestellt wurden. Das Begleichen der Rechnung darf wiederum in einer Zahlung erfolgen.
  • Das zweite Szenario für den Verkauf von verbundenen Reiseleistungen liegt vor, wenn auf den Kauf einer einzelnen Reiseleistung binnen 24 Stunden eine zweite Buchung einer weiteren Reiseleistung folgt.[1]
Wichtig ist also, dass Leistungen stets mit Einzelpreisen ausgewiesen werden und nicht zu einem Paketpreis angeboten werden und die Begriffe „Pauschale“ oder „Paket“ nicht genannt werden. Als Vermittler von verbunden Reiseleistungen haben Sie die Pflicht, Ihre KundInnen mit den entsprechenden Formblättern darüber aufzuklären, dass es sich ausdrücklich NICHT um eine Pauschalreise handelt.

Eine eigene Insolvenzversicherung ist immer dann notwendig, wenn Zahlungen der Reisenden entgegengenommen werden oder der Vermittler eine der Reiseleistung selbst erbringt. Wenn Sie als Vermittler den erhöhten Insolvenzschutz umgehen möchten, müssen jegliche Zahlungen der Reisenden direkt an die Leistungsträger (z.B. per Direktinkasso) gezahlt werden.

Ein kategorisches Ausschließen von verbundenen Reiseleistungen im Reisevertrieb ist eigentlich nicht nötig: das Risiko ist dann überschaubar, wenn man den Informationspflichten richtig nachkommt und MitarbeiterInnen in den rechtlichen Grundlagen geschult wurden. Es gibt auch die Möglichkeit sich mit einer Versicherung abzusichern, damit ein Reisemittler nicht unbeabsichtigter Weise als Veranstalter auftritt und die Veranstalterhaftung greift.
Reisevermittler können – gewollt oder ungewollt – zum Reiseveranstalter werden, wenn einzelne Reiseleistungen wie etwa Flug und Übernachtung als Paket gebündelt angeboten werden. Wenn Reisevermittler beim Angebot verbundener Reiseleistungen nicht korrekt vorgehen und ihren Verpflichtungen aus §651 w BGB entsprechend nachkommen, geraten sie automatisch in die Veranstalterhaftung. Deshalb ist auf die Einhaltung der Informationspflichten und entsprechenden Modalitäten zu achten. Grundsätzlich gilt: „Reiseveranstalter ist, wer ein Paket von mindestens zwei verschiedenen Arten von Reiseleistungen für die gleiche Reise anbietet oder wer in der Werbung die Begriffe wie „Pauschalreise“, „Pauschale“, „Package“ oder „Arrangement“ verwendet.“[3] Eine Ausnahme gilt, sofern nur eine Reiseleistung der Nummer (1) bis (3) mit einer oder mehreren Leistungen aus Punkt (4) kombiniert wird und diese letzteren keinen erheblichen Anteil am Gesamtwert, d.h. <25% ausmachen und auch nicht als wesentliches Merkmal der Reise vermarktet werden – in diesem Sonderfall handelt es sich also NICHT um eine Pauschalreise. Sobald jedoch wieder einer der obigen Begriffe wie z.B. Arrangement oder Package verwendet werden, dann kommt die Ausnahmeregelung wiederum nicht zum Tragen, da explizit eine Pauschale beworben wird.[1] Weitere Ausnahmen vom Pauschalreiserecht liegen bei Tagesreisen sowie bei sog. Gelegenheitsveranstaltern vor. Ersteres bezieht sich auf Reisen, die weniger als 24 Stunden dauern und keine Übernachtung beinhalten. Tagesreisen gelten wiederum nur dann als Pauschalreise, wenn der Reisepreis mehr als 500€ beträgt. Letztere zielt insbesondere auf Vereinsreisen für Mitglieder ab, d.h. immer dann, wenn Reise nicht mit Gewinnerzielungsabsicht durchgeführt werden und nur für einen begrenzten Teilnehmerkreis zugänglich sind. Für das Pauschalreiserecht ist es außerdem nicht relevant, ob das Reisepaket bereits ein vorab durch das Reisebüro oder den Reiseveranstalter fertig gebündeltes ist, oder ob es „ad hoc“ für den Reisenden zusammengestellt wird (d.h. Dynamic Packaging) – rein das Ergebnis ist hierbei entscheidend. Ferner sind Pauschalreisende nicht nur im Leisure-Bereich vorzufinden, das Pauschalreiserecht trifft auf Geschäftsreisende genauso zu und auch hier müssen Reisebüros sich mit der Frage auseinandersetzen, welcher Art der Vermittlertätigkeit sie nachgehen möchten. Weiterhin ist für den Online-Vertrieb §651c BGB „Verbundene Online-Buchungsverfahren“ zu beachten. Dadurch werden Reisevermittler zum Reiseveranstalter, wenn sie auf ihrer Website zu der Seite eines anderen Anbieters touristischer Leistungen weiterleitet, bei dem derselbe Kunde/dieselbe Kundin eine weitere Leistung kauft. Dann wird das erste Unternehmen in dieser Kette automatisch zum Reiseveranstalter und es greifen sämtliche Pflichten und Gewährleistungsverpflichtungen. Aufgrund der eben beschriebenen Regelung wird dieser Paragraph auch Click-through-Regelung genannt.
Potenziale und Risiken der Eigenveranstaltertätigkeit
Potenziale
  • Chance auf höhere Margen
  • Entscheidungen zu Produkten und Marge werden selbstbestimmt getroffen
  • Wettbewerbsfähig im Vergleich zu Direktvertrieb
  • Produkterweiterungen möglich z.B. Zusammenarbeit mit Regionen oder Hotels, Bündelung einzigartiger Reisepakete
  • Schnellere Reaktion auf Preisaktionen von Partnern
  • Profilierung durch besondere und individuelle Produkte
  • Schaffung von Alleinstellungsmerkmalen und damit weniger Vergleichbarkeit am Markt
  • Weniger Abhängigkeit von Veranstaltern
  • Reisen können individuell, auf die Kundenbedürfnisse zugeschnitten werden
  • Servicegebühr kann besser integriert werden
Risiken
  • Zum Teil Veranstalterhaftung
  • Mehraufwand
  • Eigenes System der Qualitätssicherung notwendig
  • Höheres finanzielles Risiko
  • Insolvenzversicherung
  • Möglicherweise Vertrauensverlust durch Fehlen einer bekannten Marke
  • MitarbeiterInnen müssen rechtlich geschult werden, um rechtssicher mit den unterschiedlichen Produktgruppen umgehen zu können
Branchenbefragung zum Thema Geschäftsmodelle und Vertriebsformen

Im Sommer 2021 hat CENTOURIS eine Branchenbefragung mit 261 Reisebüros durchgeführt und gefragt, wie groß das Potenzial bzw. wie schwerwiegend die Risiken eingeschätzt werden und wie groß die Bereitschaft ist, zukünftig als Eigenveranstalter tätig zu werden. Die Forschungsergebnisse im Detail können Sie HIER einsehen.

Die Befragung hat gezeigt, dass viele Reisebüros den Wunsch nach mehr Profilierung und USPs am Markt haben, ihnen aber die rechtlichen Risiken zu groß sind und sie deshalb Bedenken haben, selbst als Eigenveranstalter aktiv zu werden. Die Mehrheit der Befragten sieht zudem die Notwendigkeit, das Personal besser für den Verkauf von verbundenen Reiseleistungen oder selbstveranstalteten Reisen zu schulen.

Good Practice Beispiel: Erfolgreicher Reisemittler und Eigenveranstalter aus Münster

ReiseArt, Reiseagentur aus Münster, begann als Flugreisebüro und entschloss sich bereits in den frühen 2000er Jahren eigene Reisen zu konzipieren. Erfahren Sie hier, welche neuen Reiseformate während der Pandemie entstanden sind.

Literaturverzeichnis

[1] Zur Vertiefung der neuen Gesetze bietet die IHK Rhein-Neckar ein detailliertes Infoblatt für Vermittler, abrufbar unter: https://www.ihk.de/rhein-neckar/wirtschaftsstandort/branchen/tourismus/hotellerie/reiserecht-veranstalter-vermittler-3934626 (zuletzt geprüft am 02.05.22)

[2] Gesetze im Internet herausgegeben durch das Bundesamt der Justiz; abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__651a.html (zuletzt geprüft am 08.02.22)

[3] Zitiert aus: Ratgeber der IHK München; abrufbar unter https://www.ihk-muenchen.de/recht/vertragsrecht/reiserecht-reiseveranstalter-reisevermittler/ (zuletzt geprüft am 08.02.22)