BARRIEREFREIES REISEN

Möglichkeiten für Reisebüros barrierefreie Reisen anzubieten

Etwa sechs Millionen Menschen deutschlandweit sind in ihrer Mobilität beeinträchtigt und benötigten demnach Gestaltungsmaßnahmen im allgemeinen Lebensumfeld, wie Gebäude, Arbeitsplätze, Verkehrsmittel und Freizeitangebote, die ein Leben ohne fremde Hilfe erlauben [1]. Diese Barrierefreiheit beschränkt sich allerdings nicht nur auf räumliche Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderung oder eingeschränkter Mobilität, sondern auch barrierefreie Informationen, barrierefreie Kommunikation und digitale Barrierefreiheit im Internet sind relevant für eine Inklusion aller Menschen, die auf Barrieren stoßen und damit an der Gesellschaft nicht voll teilhaben können [2].  Die Alterung der deutschen Bevölkerung beeinflusst die Anzahl der Reisenden höheren Alters in Deutschland immer mehr. Aber nicht nur der demografische Wandel, sondern auch jüngere Menschen mit (vorübergehender) Mobilitätseinschränkung, Familien sowie Menschen mit Lernschwierigkeiten und tragen zur Bedeutsamkeit von barrierefreier Kommunikation und Reiseangeboten bei. Reisebüros nehmen an dieser Stelle eine wichtige Schlüsselposition ein. Durch eine bewusste Ausrichtung ihrer Angebots- und Servicestruktur auf die besonderen Bedürfnisse dieser Zielgruppe wie die Verwendung Leichter Sprache oder die Integration von rollstuhl- oder kinderwagenfreundlichen Reisen, können Sie sich einerseits ein Alleinstellungsmerkmal auf dem Vertriebsmarkt erarbeiten und andererseits besondere Reiseerlebnisse schaffen.

Anforderungen an eine Barrierefreiheit

Wichtig ist zu beachten, dass es sehr unterschiedliche Formen von Einschränkungen gibt. Diese können dauerhafte Einschränkungen der Sinne (Sehen, Hören) oder der Mobilität sein (Lähmungen, Alterserscheinungen), aber auch temporäre Herausforderungen wie sie als Folge von Unfällen, Operationen, während einer Schwangerschaft oder beim Reisen mit kleinen Kindern auftreten [3].

Jede Gruppe hat daher andere Anforderungen an eine Barrierefreiheit. Die Anforderungen der einzelnen Dimensionen von Behinderung (Mobilität, Hören, Sehen, Kognitives, geistige Gesundheit) unterscheiden sich teils erheblich voneinander und müssen sowohl in der Angebotsgestaltung, als auch in der Beratung berücksichtigt werden [6]. Menschen mit Assistenzbedarf können daher nicht als eine einheitliche Gruppe mit gleichen Bedürfnissen verstanden werden, sondern müssen vielmehr als heterogener Markt mit verschiedenen Teilsegmenten begriffen werden [8].

Der Beratungsbedarf bei dieser Zielgruppe ist besonders groß, da die Vorbereitung auf die Reise als Orientierungshilfe dient und spontane Änderungen einen Stressfaktor darstellen. Der Genusswert der Reise hängt vom Grad der Barrierefreiheit am Zielort ab und wie wenig sich eine beeinträchtigte Person im Kontext eines Urlaubs als eine solche wahrnimmt [9]. Die Planung der Reise gilt als wichtigstes Element für Menschen mit Behinderung. Gerade dieser Aspekt birgt Potenzial für den Reisevertrieb. Wichtig ist, mit den besonderen Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung vertraut und für die Beratung geschult zu sein.

Angebot von Barrierefreien Reisen

Das Angebot barrierefreier Reisen eröffnet eine neue Nische auf dem Markt, dennoch stellt dabei das erforderliche Spezialwissen eine Hürde da. Eine mögliche Vorgehensweise ist es, sich auf eine Beeinträchtigung zu spezialisieren (z.B. Reisen für Blinde und Sehbehinderte, Reisen für Gehörlose oder Mobilitätseingeschränkte). Mehr Informationen zu den einzelnen Bereichen sind hier zu finden.

Weitere Möglichkeiten, um barrierefreie Reisen in Ihr Portfolio aufzunehmen, sind beispielsweise das Anbieten von Flugbuchungen mit detailliertem Wissen zum Thema Assistenz am Flughafen oder die Aufnahme von Reisen in Ihr Portfolio, bei denen beeinträchtigte zusammen mit unbeeinträchtigten Personen verreisen. Eine Vermittlung dieser Reisen an unbeeinträchtigte Menschen verlangt weniger Spezialwissen seitens des Reisebüros, unterstützt gleichzeitig jedoch beim Aufbau eines Alleinstellungsmerkmals. Bei der Auswahl der barrierefreien Angebote für das eigene Portfolio kann sich an den zertifizierten Angeboten durch „Reisen für Alle“ orientiert werden. „Reisen für Alle“ ist ein Kennzeichnungssystem, welches Teil des Aktionsplans „Bayern barrierefrei 2023“ ist und für das die BayTM die Erhebung inkl. Zertifizierung von Angeboten für Menschen mit Mobilitäts- und/oder Aktivitätseinschränkungen für alle Leistungsträger entlang der touristischen Servicekette anbietet. Interessenten finden nachfolgend Informationen zu den Kosten und Förderungen  sowie zum allgemeinen Zertifizierungsablauf.

Ein wichtiger Vorteil bei der Ausrichtung auf barrierefreie Reiseangebote kann zudem die Bindung von langjährigen KundInnen darstellen, da trotz möglicher altersbedingter Mobilitätseinschränkungen weiterhin passende Reiseformate angeboten werden können.

Abseits der Produkte kann zusätzlich bei der Websitegestaltung auf Barrierefreiheit geachtet werden. Hierzu gehört unter anderem:

  • die Verfügbarkeit der Website in Leichter Sprache (z.B. Deutsche Zentrale für Tourismus e.V.). Dies kann sowohl für Menschen mit Behinderungen als auch für Menschen mit Lernschwierigkeiten und Menschen mit geringerem deutschen Wortschatz unterstützend sein (Sag’s einfach).
  • Der Inhalt von Bildern und Videos kann mithilfe von Untertiteln oder Audio-Deskriptionen barrierefrei dargestellt werden[10].
  • Eine kontrastreiche Gestaltung der Website ist für Menschen mit Sehbehinderung bedeutend.ist 

Praktikerleitfaden

Die BAYERN TOURISMUS Marketing GmbH (BayTM) hat einen Praktikerleitfaden zum Thema „Barrierefreiheit im Tourismus“ erstellt. Hier werden Tipps gegeben, wie sie sich diesem Thema in der Praxis nähern können, über welche Zielgruppen wir sprechen und was die erste Schritte zum Erfolg sind. Der Leitfaden dient als Orientierungshilfe für touristische Betriebe und Destinationen, die Komfort & Service für alle Gäste schaffen wollen. 

Beispiel:  Tour de sens

Tour de sens ist ein Veranstalter, der Reisen für Blinde und sehbehinderte Menschen anbietet. Ihr Konzept sieht Gruppenreisen vor, bei denen Blinde und Sehende gemeinsam Reisen. Sehende unterstützen dabei ihre blinden und sehbehinderten Mitreisenden indem sie jeweils einem blinden Menschen bei der Fortbewegung und Orientierung helfen. Wir haben Laura Kutter (Geschäftsführerin von Tour de sens) gefragt, wie eine sinnvolle Kooperation mit Reisebüros ihrer Meinung nach aussehen könnte:

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Interview mit Laura Kutter

Das Gespräch wurde am 20.12.2021 aufgezeichnet und von Jana Hofäcker aus dem ReiseZukunft Team geführt.

Literaturverzeichnis

[1] REHADAT, https://www.rehadat-statistik.de/statistiken/barrierefreies-leben/mobilitaet/mobilitaet-in-deutschland/

[2] Lebenshilfe o.J., https://www.lebenshilfe.de/barrierefreiheit

[3] Alén et al., 2012. New Opportunities for the Tourism Market: Senior Tourism and Accessible Tourism. In: Murat Kasimoglu (Hrsg.): Visions for Global Tourism Industry – Creating and Sustaining Competitive Strategies. Rijeka, S. 139-166.

[4] Domíguez et al., 2013. Economic profitability of accessible tourism for the tourism sector in Spain. Tourism Economics, 19(6), S. 1385-1399.

[5] UNWTO, 2016. Manual on Accessible Tourism for All: Principles, Tools and Best Practices. UNWTO Publications.

[6] Darcy, Cameron & Pegg 2010: 4-6. Accessible tourism and sustainability: A discussion and case study. Journal of Sustainable Tourism 18, 4, S. 515–537.

[7] Buhalis & Michopoulou 2011. Information-enabled tourism destination marketing: Addressing the accessibility market. In: Current Issues in Tourism, 14, S. 145-168.

[8] Rubio-Escuderos et al. 2021: 13. Accessible tourism: origins, state of the art and future lines of research. European Journal of Tourism Research, 28, 2803.

[9] Tsai 2010. The physical disabilities‘ travel behaviors. African Journal of Business Management, 4(4), 512.

[10] Aktion Mensch, o.J. Videos für alle – Barrierefreier Videoplayer – Aktion Mensch (aktion-mensch.de)